Der Hilferuf kam vor einigen Tagen über einen Messangerdienst, direkt auf das private Handy von Shalliena Mitev, Genesungsbegleiterin in der Abteilung für Abhängigkeitserkrankungen der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Evangelischen Klinikum Bethel (EvKB). Die Absenderin war ein junges Mädchen aus Bielefeld. „Sie ist Drogenkonsumentin und wandte sich aus purer Verzweiflung an mich. Die Tafeln, das Drogenhilfezentrum (DHZ), die Bahnhofsmission oder die Heilsarmee, überall dort, wo drogensüchtige oder obdachlose Menschen eine Chance haben, für wenig Geld eine warme Mahlzeit zu bekommen, haben geschlossen. Zusätzlich waren preiswerte Lebensmittel als erstes ausverkauft. In dieser Krise, in der sehr viele auf Hilfe angewiesen sind, fallen Drogenabhängige noch leichter aus dem Solidaritätsraster“, erklärte die 42-Jährige, die aus ihrer eigenen Drogenzeit genau weiß, was es bedeutet, in der Existenz bedroht zu sein.
Shalliena überlegte nicht lange, startete per Facebook einen Spendenaufruf und hatte innerhalb von wenigen Stunden eine Riesenresonanz. „Ich war wirklich sprachlos. Auch Konsumenten, die selbst wenig haben, waren bereit, Lebensmittel zu spenden.“ Mit Freunden und ihrer Familie sammelte sie die Lebensmittel ein, packte kleine Pakete und verteilte sie direkt an die Hilfsbedürftigen. „Natürlich haben wir streng darauf geachtet, dass wir alle Vorsichtsmaßnahmen berücksichtigen. Das ist für mich und meine Familie ganz wichtig, weil eines meiner Kinder ein Risikokind ist.“ Abstand halten und trotzdem helfen lautete ihr Motto.
Die Aktion entwickelte sich zu einem vollen Erfolg. Entsprechend groß war die Dankbarkeitswelle für Shalliena und ihre Helfer. „Die Schreiben waren so innig und so berührend, das kann man sich kaum vorstellen, einfach überwältigend. Und ich kann den Dank nur weitergeben an alle, die mich unterstützt haben.“ Mittlerweile hat die Bielefelder Tafel ihre Arbeit auf eine etwas andere Art wiederaufgenommen. Viele Freiwillige bringen mit dem eigenen Auto Lebensmittel zu den Kundinnen und Kunden. Dafür mussten sie allerdings schon vor der Krise in die Kundenkartei aufgenommen worden sein. Initiativen wie die von Shalliena sind deshalb nach wie vor für viele überlebenswichtig.
Das eigene Leben von Shalliena Mitev ist selbst eine unglaubliche Geschichte, die sie schon hundertfach erzählt hat. Wenn die 42-Jährige aus ihrer bewegenden Biographie schnörkellos berichtet, hat sie als ehemalige schwerst drogenabhängige Frau nur ein Ziel: Jungen Menschen klar zu machen, wieviel Kraft und Mut es braucht, aus der Drogenspirale herauszukommen und ein drogenfreies Leben zu führen. Für Shalliena liegt diese Zeit zwar in der Vergangenheit, doch die harten Jahre wird sie niemals vergessen.