Seit sie 14 Jahre alt ist, hat Abiturientin Lea-Renée aus Bielefeld immer wieder starke Schmerzen in Oberbauch und Rücken, begleitet von Krämpfen und Erbrechen. Für ihre Mutter Daniela Futterlieb damals ein Alarmsignal. Sie weiß, was diese typischen Symptome bedeuten könnten: Ihr Vater ist im Alter von 62 Jahren, ihre Oma bereits mit 49 Jahren an Bauchspeicheldrüsenkrebs gestorben: Ihr Bruder (heute 42) ist ebenfalls betroffen, hatte bereits mit 18 Jahren entzündliche Schübe der Bauchspeicheldrüse und infolgedessen krankhafte Veränderungen des Organs. Als bei Daniela Futterlieb 2015 aufgrund massiver Beschwerden die Gallenblase entfernt wird, entdeckt man im Rahmen der Diagnostik auch bei ihr Steine in Gallengang und Bauchspeicheldrüse.
Auf Empfehlung wenden sich Mutter und Tochter an das Bauchzentrum Bielefeld im Evangelischen Klinikums Bethel (EvKB). Hier werden Patienten mit Bauchspeicheldrüsenerkrankungen interdisziplinär betreut.
Nach ausführlicher Diagnostik und genauer Erfragung der Familiengeschichte schickt Prof. Martin Krüger, Chef der Klinik für Innere Medizin und Gastroenterologie die Patientinnen zur genetischen Beratung. Die genetische Analyse des Blutes bestätigt: Beide haben eine seltene Form einer vererbbaren, chronischen Pankeratitis (Bauchspeicheldrüsenentzündung). Eine Gen-Mutationen bringt dabei die Verdauungsenzyme der Bauchspeicheldrüse aus dem Gleichgewicht. Die mögliche Folge: Das Organ verdaut sich selbst, es vernarbt und verhärtet infolge der ständigen Entzündungen. Dies kann nicht nur zum Organausfall und damit zu Diabetes mellitus führen, sondern erhöht auch das Krebsrisiko massiv - auf ca. 40 Prozent bis zum 70. Lebensjahr.
Die Therapie-Empfehlung bei dieser Erkrankung richtet sich immer individuell nach den klinischen Symptomen, dem Krankheitsverlauf und Zustand des Organs. Prof. Krüger und sein Kollege Prof. Jan Schulte am Esch, Chef der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie am EvKB, raten den Patientinnen zur OP, denn bei beiden ist die Bauchspeicheldrüse bereits deutlich geschädigt. „Uns war schnell klar, dass wir das zusammen durchstehen wollen und so haben wir den Termin für die ‚Tandem-OP‘ auf Ende Juni gelegt, damit Lea vorher das Abitur noch machen kann“, erzählt Daniela Futterlieb.
Prof. Schulte am Esch kann den Eingriff organerhaltend durchführen - erst bei Tochter Lea, einen Tag später bei Mutter Daniela. „Um das Krebsrisiko zu reduzieren, muss man die chronische Entzündung aufhalten. Hierzu wird der Bauchspeicheldrüsenkopf entfernt, denn er ist der Motor der Erkrankung. Durch diesen komplexen Eingriff kann man den ersten Teil des Verdauungstraktes hinter dem Magen - den Zwölffingerdarm - und damit eine natürliche Magen-Darm-Passage erhalten“, erklärt der Bauchchirurg den Eingriff.
Zur Unterstützung der Verdauung müssen die Patientinnen nun lediglich täglich Enzyme einnehmen, weiterhin auf eine ausgewogene, fettarme Ernährung achten und auf Alkohol und Zigaretten verzichten, denn beides erhöht das Karzinom-Risiko erheblich. „Wir werden dem Krebs keine Chance geben“, sagt Lea. „Elf Tage gemeinsam im Krankenzimmer haben uns noch mehr zusammengeschweißt. Wir waren so froh, dass wir uns hatten - denn wegen Corona bestand ja Besuchsverbot! Selbst unsere Blumensträuße von Familie und Freunden mussten an der Rezeption abgegeben werden.“ Beide Frauen wollen ihre Reha - Ernährungsberatung und Physiotherapie - ambulant von zu Hause aus machen und Lea ist sicher, bis zum Ausbildungsbeginn zur Immobilienkauffrau Anfang August wieder topfit zu sein.